Der schöne Baum im Vorgarten kann zum sehr ärgerlichen Baum im Vorgarten werden, wenn sich seine Wurzeln daran machen, aus den Leitungen unter der Erde Knüpfkunst zu machen. Wenn Sie sicher sein möchten, dass Baum und Hecke die unterirdisch verlegten Leitungen in Ruhe lassen, sollten Sie Flachwurzler pflanzen. Aber echte Flachwurzler – wie Sie gleich erfahren werden, definieren manche Gehölze diese Bezeichnung nämlich durchaus fantasiereich.
Wie wird man Flachwurzler?
Im Gegensatz zur menschlichen Flachzange, die als geistiger Dünnbrettbohrer mit wenig Aufwand viel erreichen will, hat sich der pflanzliche Flachwurzler im Laufe seiner Evolution richtig angestrengt: Als vor ein paar Milliarden Jahren die ersten Lebewesen entstanden, entwickelten sie sich im Wasser. Während der Mensch den entscheidenden Schritt an Land im Entwicklungsstadium „Fisch mit Armen und Beinen“ absolvierte, wurden die ersten moosähnlichen Landpflanzen an Land gespült, fanden den im Gegensatz zum Ur-Meer angenehm leeren und konkurrenzfreien Lebensraum prima und wollten bleiben.
Diese ersten Landpflanzen nahmen Wasser inkl. Nährstoffe noch über ihre Oberfläche auf; bestenfalls mit ein paar unterirdischen Kriechsprossen irgendwo verankert, wo sie ausreichend überspült wurden. Aber es wurde immer trockener, so fingen die Landpflanzen an, Wurzeln zu entwickeln, um sich aus dem um sie herum gerade entstehenden Boden versorgen zu können. So wie die Umgebung sich weiterentwickelte, entwickelten auch die Pflanzen ihre Wurzeln passgenau zugeschnitten auf die Umgebung, und für bestimmte Umgebungen eignen sich nun einmal Flachwurzeln am besten.
Die typische Umgebung eines Flachwurzlers
Flachwurzler haben Wurzeln entwickelt, die nicht in den Boden dringen, sondern sich knapp unter der Erdoberfläche horizontal in die obersten Schichten des Bodens ausbreiten.
Solche Wurzeln bieten sich aus mehreren Gründen an:
- Flachwurzeln sind sehr praktisch, wenn eine Pflanze häufig an Standorte „gerät“, wo es richtig windig ist
- „gerät“ heißt: Ausgesamt wird, mit guten Chancen, dass die eigenen Samen auch wieder Stürme aushalten müssen
- Je flacher und breiter die Wurzel, desto besser kann sich eine Pflanze festhalten
- Flache Wurzeln entstehen auch in Gegenden, in denen die Erde aus ein paar cm auf Steinboden besteht
- Solche Steinböden mit dünner Erdschicht gibt es an häufig Küsten und im Gebirge
- Aber auch Erde kann unter ungünstigen Bedingungen kurz unter der Oberfläche eine steinharte Schicht ausbilden
- Oder eine Pflanze hat sich an Trockenstress angepasst, Stress durch Wassermangel
- Er entsteht, wenn die Transpirationsrate des Organismus höher ist als die Wasseraufnahme
- Wenn das öfter passiert, muss eine Pflanzen sich etwas ausdenken, wenn sie nicht aussterben will
- Auch in tiefem Boden helfen dann Flachwurzeln, die einfach zusätzlich gebildet werden, während die Pflanze oben „Pause macht“
- Mehr Wurzeln weiter ausgebreitet fangen jeden Regentropfen auf
Vorsicht: „Wechselwurzler“ können auch tief
Wie sich die Wurzel im Wachstum verhält, hängt auch davon ab, ob eine Pflanze ihre Wurzelgene ausschließlich in einer solchen Umgebung entwickelt hat oder ob die Wurzeln nur unter bestimmten Bedingungen zu Flachwurzeln werden mussten.
Viele Pflanzen passen sich an überraschend undurchdringliche Untergründe an und lassen ihre Wurzeln in die Breite wachsen. Wenn Sie jedoch in tiefgründiger Erde stehen, wachsen sie wieder ganz normal nach unten. Andere Pflanzen passen sich mit veränderlichen Wurzelsystemen an die Qualität des Bodens an: Die Weymouth-Kiefer wird z. B. auf flachgründigen und schlecht wasserdurchlässigen Böden zum Flachwurzler, auf tiefgründigen Böden entwickeln sie aus den Seitenwurzeln nach unten wachsende Senkerwurzeln.
Schwarzkiefern z. B. schicken eine kräftige Pfahlwurzel als Anker in den Boden, gefolgt von horizontal wachsenden Seitenwurzeln 1. Ordnung, von denen dann wiederum Seitenwurzeln 2. Ordnung senkrecht in den Boden wachsen. Das Ganze passt sich auch an die Bedingungen an. Auf felsigen und weitgehend bodenfreien Standorten bleibt der Großteil der Wurzeln an der Oberfläche, jede Felsspalte wird jedoch genutzt, um den Baum tief zu verankern.
Falls Sie Gründe haben, einen Flachwurzler in den Garten stellen zu wollen, der ausschließlich flache Wurzeln ausbildet, sollten Sie einen „echten Flachwurzler“ bei einem Fachmann kaufen, der Ihnen alle Fragen zur Wurzelausbildung genau beantworten kann.
Und kein Sonderangebot im Discounter, vom dem der Verkäufer Ihnen versichert, die flachen Wurzeln könne man ja schon sehen und dieses Gehölz werde bestimmt nicht bis tief in die Erde wachsen. Wenn man die flachen Wurzeln schon sieht, weil sie für bequemen Transport vorher brutal gekürzt wurden, brauchen Sie sich um flache oder tiefe Wurzeln keine Gedanken mehr zu machen. Diese Pflanze wird sowieso bald eingehen. Wenn die Wurzeln deshalb flach sind, weil sie noch klein sind und die Pflanze noch jung, ist was immer Sie vor tiefreichenden Wurzeln schützen wollten, vielleicht in ernsthafter Gefahr.
Arten und Sorten von Flachwurzlern
Zu den Flachwurzlern gehören z. B. folgende bekannte Bäume und Hecken-Sträucher:
- Ahorn, Acer, mehrere Arten/Sorten wie A. campestre, A. negundo, A. palmatum, A. platanoides
- Ahornblättrige Platane, Platanus x hispanica
- Apfelbaum, Malus domestica
- Apfelbeere, Aronia melanocarpa
- Bambus, Fargesia, mehrere Arten/Sorten, z. B. F. murielae, F. nitida
- Baumwolle, Gossypium hirsutum
- Baumwürger, Celastrus orbiculatus
- Berglorbeer, Kalmia latifolia
- Birke, Betula pendula
- Birnbaum, Pyrus communis
- Blasenbaum, Koelreuteria paniculata
- Blaugurke, Decaisnea fargesii
- Blauregen, Glyzinie, Wisteria, z. B. W. floribunda und W. sinensis
- Blutjohannisbeere, Ribes sanguineum
- Bocksdorn, Gojibeere, Lycium, mehrere Arten/Sorten, z. B. L. barbarum, L. chinense
- Buche, Fagus
- Eberesche, Vogelbeere, Sorbus aucuparia
- Edelginster, Cytisus x praecox
- Efeu, Hedera helix
- Erbsenstrauch, Caragana arborescens
- Erle, Alnus glutinosa
- Esche, Fraxinus, zuerst senkrecht wachsende Hauptwurzel, nach wenigen cm waagrechtes Wurzelwachstum mit Senkerwurzeln nach unten, max. 140 cm
- Essigbaum, Rhus typhina
- Färberginster, Genista tinctoria
- Felsenbirne, Amelanchier, mehrere Arten/Sorten, z. B. A. laevis, A. lamarckii
- Fichte, Picea, mehrere Arten/Sorten, z. B. P. abies, P. glauca, P. omorika, anfangs Flachwurzler, im Alter Senkerwurzeln
- Fiederspiere, Sorbaria sorbifolia
- Flieder, Syringa
- Forsythie, Forsythia, mehrere Arten/Sorten, z. B. F. giraldiana, F. ovata, F. suspensa, F. x intermedia
- Gewürzstrauch, Calycanthus floridus
- Goldregen, Laburnum
- Goldulme, Ulmus minor
- Götterbaum, Ailanthus altissima
- Hainbuche, Carpinus
- Hartriegel, Cornus, mehrere Arten/Sorten, z. B. Cornus controversa, C. florida
- Haselnuss, Corylus avellana
- Heiliger Bambus, Nandina domestica
- Hemlocktanne, Tsuga canadensis
- Hortensie, Hydrangea, H. arborescens, H. aspera, H. macrophylla, H. paniculata, H. petiolaris, H. quercifolia, H. sargentiana
- Judasbaum, Cercis siliquastrum
- Kamelie, Camelia, mehrere Arten/Sorten, z. B. C. japonica, C. sinensis
- Kaskadenstrauch, Holodiscus discolor
- Kastanienbaum, Aesculus, mehrere Arten/Sorten, z. B. A. hippocastanum, A. parviflora
- Kaukasische Flügelnuss, Pterocarya fraxinifolia
- Kiefer, Pinus, mehrere Arten/Sorten wie Banks-Kiefer (von einer Insel), Schwarzkiefer (wenn der Untergrund sie zwingt), Weymouth-Kiefer (schickt Wurzeln dahin, wo am meisten zu holen ist, ggf. auch in die Tiefe)
- Kiwi, Actinidia, mehrere Arten/Sorten, z. B. A. arguta, A. deliciosa
- Knopfbusch, Cephalanthus occidentalis
- Kornelkirsche, Cornus mas
- Kuchenbaum, Cercidiphyllum japonicum
- Lebensbaum, Thuja
- Magnolie, mehrere Arten/Sorten, M. liliiflora, M. stellata, M. x soulangiana, M. × soulangeana, als mit älteste Blütenpflanzen der Welt anscheinend noch in der Tradition der an Land gespülten Moose verhaftet …
- Mammutbaum, Sequoia, mehrere Arten/Sorten, z. B. S. sempervirens, S. giganteum
- Pappel, Populus
- Parrotie, Parrotia persica
- Perückenstrauch, Cotinus coggygria
- Prachtglocke, Enkianthus campanulatus
- Prunkspiere, Exochorda racemosa
- Prunus, mehrere Arten/Sorten, z. B. P. avium, P. padus, P. spinosa, P. tenella, P. Accolade, P. Amanogawa
- Rainweide, Ligustrum vulgare
- Ranunkelstrauch, Kerria japonica
- Rhododendron
- Robinie, Scheinakazie, Robinia pseudoacacia
- Scheinzypresse, Chamaecyparis lawsoniana
- Schirmtanne, Sciadopitys verticillata
- Schneeball, Viburnum, z. B. Viburnum farreri, Viburnum rhytidophyllum, Viburnum x burkwoodii
- Schneeflockenstrauch, Chionanthus virginicus
- Schneeglöckchenbaum, Halesia carolina
- Schnurbaum, Pagodenbaum, Sophora japonica
- Schokoladenwein, Akebia quinata
- Schwarzer Holunder, Sambucus nigra
- Sommerflieder, Buddleja, mehrere Arten/Sorten, z. B. B. alternifolia, B. davidii
- Taschentuchbaum, Davidia involucrata
- Teufelskrückstock, Aralia elata
- Thuja, Lebensbaum, Thuja, z. B. Thuja occidentalis, Thuja plicata
- Traubenheide, Leucothoe fontanesiana
- Weiden, Salix, mehrere Arten/Sorten
- Zaubernuss, Hamamelis
- Zierquitte, Chaenomeles japonica
- Zypresse, Cupressus sempervirens
Flachwurzler erkennen
Es gibt mehr Flachwurzler als in der schon ziemlich komfortabel bestückten Liste, bei einer geschätzten Zahl von rund 500.000 Pflanzenarten kein Wunder. Von denen sind zwar weiß Gott nicht alle Flachwurzler und alle Flachwurzler wachsen auch nicht bei uns, aber schon eine Menge. Wegen Klimaerwärmung werden auch immer mehr Pflanzen mit Heimat in wärmeren Ländern importiert, eine allgemeine Bestimmungs-Formel wäre also nützlich.
Es gibt eine solche Bestimmungs-Formel für Flachwurzler. Sie versteckt sich in den Vorschriften, durch die Bäume bei Bauarbeiten vor Störungen des Wurzelbereichs geschützt werden. In diesen Vorschriften wird nämlich eine Unterscheidung gemacht, die bei der Bestimmung von Flachwurzlern weiterhilft: Bei normal und tief wurzelnden Bäumen gilt die Bodenfläche unter der Krone plus 1,5 m nach allen Seiten als Wurzelbereich, bei säulenförmigen Bäumen ist es die Bodenfläche unter der Krone plus 5 m nach allen Seiten.
Damit ist schon einmal eines klar: Bei einem schmalkronigen Baum ist die Chance sehr groß, dass er flache Wurzeln ausbildet. Gezüchtete Säulenformen werden in den Vorschriften mitunter auch gleich bei den Flachwurzlern einsortiert, verlassen sollten Sie sich aber im Zweifel nicht darauf, zumindest dann nicht, wenn es nicht um Schutz der Wurzel, sondern um Schutz tiefliegender Leitungen etc. vor der Wurzel geht. Sicher gehen können Sie dann wohl nur bei den Arten, die ohnehin als Flachwurzler bekannt sind und auch als besonders schmale Säulenformen gezüchtet werden.
Diese besonderen Zuchten sind über der Erde auch einem 2-qm-Garten gewachsen oder ergeben eine besonders schmale Hecke:
- Säulen-Blutahorn
- Säulen-Hainbuche
- Säulen-Rotbuche
- Säulen-Goldbuche
- Säulen-Blasenesche
- Pyramidenpappel
- Säulen-Zitterpappel
- Säulen-Nelkenkirsche
- Birne „Redspire“
- Eberesche Sorbus „Autumn Spire“
Besondere Behandlung
Was beim gerade erwähnten 2-qm-Garten zum Problem werden könnte, ist der Wurzelraum der Flachwurzler:
Wenn sich dieser 2-qm-Garten wirklich in einem Garten befindet, als abgegrenztes Stückchen mit Nachbarparzellen, sind die Nachbarn gewöhnlich nicht gerade erfreut, wenn sich ein Flachwurzler auch in ihren Bereich ausbreitet. Wenn Sie „den Ärger schon riechen können“, sollten Sie überlegen, vor dem Pflanzen eines Flachwurzlers eine Wurzelsperre einzubringen.
Ist der 2-qm-Garten ein Balkon, möchten Sie den sicher nicht mit einem flachen breiten Pflanzgefäß für Flachwurzler vollstellen. Sie können ausprobieren, ob ein bestimmter Flachwurzler auch in einem normalen Balkon-Kübel überlebt. Rein von der Logik her eignen sich für Balkone aber eher Tiefwurzler mit schmalem Wuchs, die einen besonders hohen Kübel bekommen.
Auch im Garten sollte der Standort eines Flachwurzlers gut überlegt werden:
- nicht an windige Stellen pflanzen, die meisten Flachwurzler sind windwurfgefährdet
- optimaler Boden, bei schlechten Bodenverhältnissen finden Flachwurzler noch weniger Halt
- Flachwurzler braucht den Untergrund, mit dem er am besten zurecht kommt
- So gibt es Flachwurzler, die gut in Steingärten gedeihen, weil sie dort mit den Wurzeln an Gesteinsbrocken anwachsen
- auf Konkurrenzpflanzen im Wurzelraum achten
- sind diese sehr stark, könnten sie sich gegen weit verbreitete Feinwurzeln übermäßig durchsetzen
- Flachwurzler meiden, wenn sie häufig umgraben
- Flachwurzler hilft bei naturnaher Bewirtschaftung und fachmännischer Bodenpflege, indem er den Boden mit seinen Wurzeln durchzieht, lockert er ihn auf und macht den Weg für Mikroorganismen frei
Fazit
Flachwurzler haben den Vorteil, dass Sie keine Befürchtungen haben müssen, dass die Wurzeln Ihre Versorgungsleitungen bedrängen und/oder beschädigen. Sie haben den Nachteil, dass es ihnen am falschen Standort an Standsicherheit fehlen kann. Dass die Flachwurzler einen recht großen des für Gärtner interessanten Teil des Gartenbodens mit ihren Wurzeln durchziehen, ist für bodenbearbeitende Kulturgärtner ein Nachteil und für bodenpflegende Naturgärtner ein Vorteil.